Das Ignition Racing Team der Hochschule Osnabrück startet mit seinen Elektro-Rennwagen europaweit durch
Gemeinsam auf der Überholspur
Einen Rennwagen mit Elektroantrieb zu konstruieren ist höchst anspruchsvoll. Ihn zu bauen und erfolgreich zu fahren aber eine Liga für sich. Genau dieser Aufgabe stellt sich das Osnabrücker Ignition Racing Team – und das jedes Jahr aufs Neue. Mit Leidenschaft und Innovationsgeist haben es dessen studentische Mitglieder auf den Rennstrecken Europas weit gebracht – und dabei manchen Lebensweg geprägt.
Von außen macht das große Gebäude auf dem Campus der Hochschule Osnabrück einen unauffälligen Eindruck. Sein Geheimnis lüftet sich erst beim Öffnen des Rolltores. Der Blick fällt auf eine Reihe höchst ungewöhnlicher Fahrzeuge, allesamt mit schnittigem Design. Dass in jedem dieser Rennwagen das Knowhow und die monatelange Arbeitszeit eines großen Teams stecken, verrät dem neugierigen Besucher Niko Lührs. Der 22jährige Elektrotechnik-Student führt durch die Werkstatt des Ignition Racing Teams e. V., dem er aktuell als Leiter vorsteht. An seiner Seite ist der 23jährige Linus Garcia Alba, der das Amt des technischen Leiters innehat. 35 Studierende sind insgesamt im Team aktiv, die den Verein und seine Aktivitäten selbst verwalten.
Ein weltweiter Konstruktionswettbewerb
Seit seiner Gründung im Jahr 2007 ist das Osnabrücker Racing Team in der „Formula Student“ unterwegs. Bei diesem jährlich stattfindenden, weltweiten Konstruktionswettbewerb treten Studententeams mit selbst gefertigten Rennwagen gegeneinander an. Jedes Jahr muss ein neues Fahrzeug gebaut werden, so sieht es das Reglement vor. Doch anders als bei den vollen Rennkalendern der Formel Eins sind es bei der „Formula Student“ einzelne Events, für die es sich zu qualifizieren gilt. Den Osnabrücker Team-Mitgliedern ist dies in der aktuellen Saison für vier Events gelungen. „Da steckt schon eine riesige Leistung aller Mitglieder dahinter“ betont Lührs und ergänzt: „Zwischen 300 und 400 Teams aus der ganzen Welt bewerben sich für jedes Event und am Ende schaffen es nur etwa 70“.
Austausch und Koordination sind wichtig
Einem solchen Erfolg vorausgegangen ist monatelange, harte Arbeit, genaue Planung und Organisation und das bereits ab dem Start der neuen Saison zu Beginn des Wintersemesters. Mehrere „Subteams“ arbeiten ab dann in ihren Spezialgebieten. Vorstand und Teamleiter koordinieren die Aktivitäten und treffen sich regelmäßig zur Absprache. „Dabei geht es darum, welche Baustellen wir aktuell in den verschiedenen Ressorts haben und ob die Schnittstellen nachher zusammenpassen, damit es am Ende auch ein vollständiges Fahrzeug wird“, erklärt Linus Garcia Alba die Abläufe. Ein interdisziplinärer Wissenstransfer sei die Folge, von dem das gesamte Team profitiere. Das Ziel, einen fahrtüchtigen Rennwagen zu bauen, käme man so beständig näher.
Theorie und Praxis verzahnen sich
„Der Erfolg einer Saison steht und fällt mit guten Leuten im Team“, berichtet Linus Garcia Alba. Er selbst hatte bereits vor Beginn seines Studiums zu Teammitgliedern Kontakt. „Da habe ich mir gedacht, wenn ich hier in Osnabrück anfangen kann zu studieren, dann ist es das erste was ich mache, mich beim Racing Team zu melden“, so der 23jährige. Der Fahrzeugtechnik-Studiengang, den er aktuell im vierten Semester absolviere, sei zudem fachlich sehr anerkannt, was ihn zusätzlich motiviert habe. Aber auch Osnabrück selbst sei einfach eine schöne Stadt und der Hochschulcampus ein Ort, wo er sich wohl fühle.
Niko Lührs hat vor allem Gefallen an der Altstadt mit ihren kleinen Restaurants, Geschäften und Cafés gefunden, wie er sagt. „Zudem wohne ich direkt hier am Westerberg und habe einen Weg zur Hochschule von einer Minute, bin aber auch in fünf Minuten mit dem Fahrrad in der Stadt. Ich habe also die perfekte Anbindung.“ Seine zeitfordernde Führungsaufgabe als Leiter des gesamten Racing Teams sieht der 22jährige auch als Möglichkeit, um Kompetenzen zu erwerben, die im Studium nicht vermittelt werden. Für die Arbeit des Racing Teams sei das Fachwissen der Mitglieder zwar unverzichtbar, so Lührs, etwa aus den Bereichen Robotik, Informatik oder Elektrotechnik. Häufig gäbe es aber auch den umgekehrten Weg und die beim Wagenbau gewonnenen Erkenntnisse verschafften Mitgliedern einen Wissensvorsprung im Studium. Theorie und Praxis würden sich im Ignition Racing Team so auf produktive Weise verzahnen.
Eine Erfolgsgeschichte mit bemerkenswerter Kontinuität
Obwohl selbstverwaltet, ist das Racing Team zugleich eng mit der Hochschule Osnabrück verbunden. Dass zeigt sich auch in der Möglichkeit, ein Semesterprojekt im Rahmen des Racing Teams absolvieren und Credits fürs Studium sammeln zu können. Zudem werden Praktika angerechnet und können Hausarbeiten zu Themen rund um den Rennwagenbau verfasst werden. Auch Bachelor und Masterarbeiten sind möglich.
Diese Entwicklung und die mittlerweile über anderthalb Jahrzehnte währende Kontinuität hatte die Gruppe Studierender, die den Ignition Racing Team-Verein 2007 aus der Taufe hoben, wohl noch nicht vor Augen. In Absprache mit der Osnabrücker Hochschulleitung knüpfte die damalige Gruppe Kontakte zu Sponsoren und Förderern und brachte mit dem „Red Diamond“ den ersten Rennwagen auf die Piste, damals noch mit Verbrennungsmotor. Bereits ab 2011 erfolgte der Wagenbau dann durchgehend mit elektrischem Antrieb. Den größten Erfolg feierte der Verein in der Saison 2015/16, als es gelang, in der Formula Student einen der vordersten Ranglistenplätze weltweit zu belegen. Aktuell sei man im vorderen Mittelfeld mit dabei, berichten Lührs und Garcia Alba.
Eine der größten Herausforderungen, denen sich das Racing-Team gegenübersieht, ist der stetige Wechsel seiner Mitglieder, denn nur aktiven Studierenden ist die Mitarbeit gestattet. Da jedes Jahr mehrere Mitglieder ihr Studium erfolgreich beenden, fließt auch immer wieder wichtiges Erfahrungswissen ab. Damit dies in der jeweils folgenden Saison nicht zu Problemen führt, legt der Verein viel Wert auf eine genaue Dokumentation und eine möglichst frühzeitige Einarbeitung, insbesondere bei Vorstandsposten.
Alumnis, die mit Rat und Tat zur Seite stehen
„Was das Team darüber hinaus besonders auszeichnet, ist die Alumni-Kultur“ so Niko Lührs. Diese sei „wirklich hervorragend“. Ehemalige Mitglieder des Ignition Racing Teams, viele von Ihnen wohnhaft in der Region und etwa in der Fahrzeugentwicklung beschäftigt, stünden bei Problemen mit Rat und Tat zur Seite und würden auch auf Teammeetings eingeladen. Einige seien auch im Motorsport tätig, etwa bei den Deutsche Tourenwagen-Masters (DTM).
Eine gewisse Durststrecke galt es insbesondere 2020 zu überwinden, als die üblichen Events pandemiebedingt abgesagt werden mussten und auch Treffen in kleinerem Kreis teilweise nicht möglich waren. „Wir arbeiten ja schon auf die Events hin und das war dann von der Motivation her schwierig“ so Linus Garcia Alba.
Weltweite Vernetzung
Dass 2022 der Rennbetrieb wieder voll durchstartet, zaubert den beiden engagierten Teammitgliedern ein Lächeln aufs Gesicht. „Die Events sind immer der krönende Abschluss einer arbeitsreichen Saison“, sind sich beide einig. Vor dem „Roll out“, der offiziellen Präsentation des neuen Fahrzeugs vor Verwandten, Freunden und Sponsoren, steht jeweils noch eine sehr intensive Arbeitsphase an. Nach einigen Testfahrten geht es danach auf große Reise. Auf dem Programm für 2022 stehen unter anderem der Red Bull Ring im österreichischen Spielberg, der Hockenheimring und die Rennstrecke im spanischen Barcelona-Catalunya. Bis auf wenige Ausnahmen reist das gesamte Team mit, campt an der Rennstrecke und drückt den Fahrern die Daumen. Angesetzt sind aber nicht nur die Rennen in unterschiedlichen Disziplinen, sondern auch Präsentationen und ein Designevent. Neben dem fachlichen Kontakten entstünden über die Events Freundschaften zu Studierenden auf der ganzen Welt. „Im Prinzip ist die ganze Formula Student wie eine große Familie“ berichtet Lührs.
Angesprochen auf den voraussichtlich besten Moment der Saison müssen Teamleiter Lührs und Linus Garcia Alba nicht lange überlegen. „Das wird nach einigen arbeitsreichen Nächten die erste Ausfahrt des fertigen Autos sein. Dann realisiert man so richtig, dass sich die Mühe gelohnt hat.“