Von Kairo über Vechta nach Osnabrück

Mahmoud, der Macher

„Mein Vater wollte eigentlich, dass ich BWL studiere“ – Wer behauptet, diesen Satz noch nie gehört zu haben, ist vermutlich entweder nicht ganz ehrlich – oder BWL-StudentIn. Mahmoud Farrag ist keines von beiden. Er gehört zu denjenigen, die sich die gut gemeinten Ratschläge der Eltern anhören – um sie dann doch nicht zu befolgen. Sein Protest heißt Germanistik-Studium. Heute lebt der Ägypter im Land seiner Träume und hat in Osnabrück ein Zuhause gefunden.

Mahmoud Farrag studiert Interkulturelle Beziehungen in Osnabrück. Foto: Philipp Hülsmann
Mahmoud Farrag studiert Interkulturelle Beziehungen in Osnabrück. Foto: Philipp Hülsmann

Aber fangen wir von vorne an, im Jahr 2013, ein Jahr nach der Revolution in Ägypten: „Ich hatte ein gutes Abi und hätte theoretisch alles studieren können“, erinnert sich Mahmoud. Statt für Jura, Medizin oder eben BWL schreibt er sich an der Universität Kairo für Germanistik, Arabistik, Islamwissenschaft und Turkologie ein. Die deutsche Sprache hatte es dem jungen Mann, der aus einem kleinen Dorf in Oberägypten stammt, schlichtweg angetan. Wohl eher ein Bauchgefühl: „Warum ich angefangen habe, mich für Deutschland zu interessieren, kann ich gar nicht richtig in Worte fassen.“

Denn an einem Besuch in dem Land, das für Currywurst und Weißbier bekannt ist, kann Mahmouds Faszination für Deutschland nicht gelegen haben. 2015 reist er zum ersten Mal in die Bundesrepublik. Genauer gesagt nach Vechta: Die Universitäten Kairo und Vechta haben einen Kooperationsvertrag und können Studierenden deshalb hin und wieder den Austausch ermöglichen. Hier angekommen, nimmt Mahmoud an einer Summer School teil. „Das war wie drei Wochen Urlaub“, erzählt er. „Ich war viel mit anderen internationalen Studierenden zusammen.“ Die Stimmung war ausgelassen und der Sommer heiß.

Neustart mit Hindernissen

Nach der Summer School bekommt Mahmoud ein verlockendes Angebot: „Ich hatte auf einmal die Möglichkeit, mich an der Uni Vechta einzuschreiben“, erinnert er sich. Gemacht – getan: Nordafrikas Megametropole tauscht Mahmoud kurzerhand gegen die beschauliche Reiterstadt im Oldenburger Münsterland ein. Leicht war der Neustart in Deutschland nicht: „Ich hatte keine Ahnung, wie das Land funktioniert. Ich musste ein Konto eröffnen, Versicherungen abschließen. Auch das Unisystem funktioniert ganz anders als in Ägypten.“ Bürokratie – laut Mahmoud einer der größten deutsch-ägyptischen Kulturunterschiede.

Aber es läuft. Mahmoud studiert in Vechta Politikwissenschaft, Wirtschaft und Ethik – und besteht mit 1,6. Eine mehr als respektable Leistung, wenn man bedenkt, dass Mahmoud erst als Student in Kairo Deutsch gelernt hat. Nebenher engagiert er sich sozial, ist Mitglied im StuPa, sitzt im Fachschaftsrat. 2016 gründet er die Initiative „Sport ist bunt“. In dem Projekt kommen Studierende und Geflüchtete zusammen, die gemeinsam Sport treiben wollen. Angeboten werden Fußball- und Schwimmkurse, daneben ist auch Platz für Geselligkeit. So haben die Hobbysportler beispielsweise einen City-Trip nach Berlin unternommen oder zelebrieren gemeinsam das alljährliche Fastenbrechen zum Abschluss des Ramadans. Noch heute existiert die Initiative, die Mahmoud mitbegründet hat: „Mein bester Freund aus Vechta leitet das Projekt heute. Es macht Freude zu sehen, dass das Ganze weitergeführt wird.“

Wechsel nach Osnabrück

Nach acht Semestern schließt sich das Kapitel Vechta. Mahmoud hat den Bachelor in der Tasche und schwankt zwischen Masterstudiengängen in Marburg und Hannover. Doch dann überzeugt ihn ein anderes Fach: „Als ich erfahren habe, dass man in Osnabrück Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen studieren kann, war die Entscheidung gefallen“, erzählt Mahmoud. „Ich bin sehr zufrieden hier.“ Mittlerweile ist er im dritten Semester, also kurz vor dem Abschluss.

Was er damit später einmal werden will? „Ich habe im Bachelor ein Praktikum im Jobcenter gemacht. Das hat mir gut gefallen“, meint er. Vorstellen könne er sich auch zu promovieren, ergänzt Mahmoud, aber eine Jobgarantie als Wissenschaftler gibt es nicht. Als sei das alles noch nicht genug, studiert er parallel Germanistik und Politik. „Als Lehrer zu arbeiten, könnte ich mir auch vorstellen“, erklärt Mahmoud.

Herausragende Leistungen und Ehrenamt

Fazit: „Mahmoud ist hochqualifizierter Student mit einer aufgeschlossenen Persönlichkeit, der vorzügliche Leistungen aufzuweisen hat sowie jede Förderung und Anerkennung verdient“ – Dieses Urteil stammt von Jochen Oltmer, Dekan des Fachbereichs für Kultur- und Sozialwissenschaften. Er hat Mahmoud zusammen mit der Vechtaer Dozentin Lucia Lichter für den DAAD-Preis für internationale Studierende vorgeschlagen. 2020 wurde Mahmoud diese Auszeichnung zugesprochen, für seine hervorragenden Leistungen als Student und Ehrenamtlicher.

Was er zu den Lorbeeren sagt? „Mich macht das sehr stolz. Es motiviert mich, mehr zu geben“, bemerkt Mahmoud dazu. Und das tut er auch: Er nimmt am ParticiPate-Programm des Avicenna Studienwerks teil und gibt zusammen mit sieben anderen Studierenden 24 geflüchteten Schülern Nachhilfe in Deutsch, Englisch und Mathematik. Auf seinen Preis wird Mahmoud erst dieses Jahr anstoßen können. 2020 ist die Feier, die sonst immer für die DAAD-Preisträger stattfindet, coronabedingt ausgefallen.

Obwohl aus Mahmoud kein Kaufmann geworden ist, sind seine Eltern sehr stolz auf ihn: „Mein Vater dachte, mit einem BWL-Studium wäre mir ein gut bezahlter Job bei der Bank sicher“, sagt er. Wieder ein Satz, den jeder kennt. „Mein Vater würde gerne sehen, dass ich einen Doktor machen“, fügt Mahmoud hinzu. Und, wer weiß, vielleicht geht dieser Traum auch noch in Erfüllung.

Dieses Portrait erschien zuerst in Quo Vadis, dem Hochschulmagazin der Neuen Osnabrücker Zeitung. Text: Sebastian Fobbe.