Seit April 2021 ist Jakob J. Lübke der „Herr der Nacht“ in der Hasestadt

Osnabrücks Nachtbürgermeister

Schales Bier aus Plastikbechern, blaue Flecken vom Gedränge auf der Tanzfläche, Jacken, die nach Kneipe riechen: Wer hätte gedacht, dass wir uns jemals nach Dingen sehnen würden, über die wir uns sonst jedes Wochenende geärgert haben? Ganz ähnlich geht es Jakob J. Lübke. „Ich liebe einfach das Kneipenfeeling und den Austausch mit anderen Menschen“, sagt er. Doch anders als der Großteil des Osnabrücker Partyvolks hat Jakob ein gutes Wörtchen mitzureden, wenn es um Events und Gastronomie geht. Seit April 2021 ist er der erste Nachtbürgermeister der Hasestadt.

Jakob J. Lübke verbindet seit April verschiedene Osnabrücker Welten miteinander. ©Danny Schöning (www.dannyschoening.com)
Jakob J. Lübke verbindet seit April verschiedene Osnabrücker Welten miteinander. ©Danny Schöning (www.dannyschoening.com)

Mehr als Party, Party, Party!

Was nach einem Gute-Laune-Amt klingen mag, ist in Wirklichkeit ein Job mit Verantwortung. Viel Verantwortung sogar: Jakobs Aufgabe ist es, die Club- und Kulturszene in Osnabrück bis zur Nach-Corona-Zeit am Leben zu halten. „Ich setze mich zum Beispiel mit den Hilfsprogrammen auseinander und schaue, wo Nachbesserungsbedarf besteht“, erklärt er. Nach und nach wird es dann um den Restart des Kulturbetriebs gehen. Währenddessen ist Jakob Kontaktperson Nummer 1 für Veranstalter, Gastronomen und Kreative, aber auch für Entscheidern aus Politik und Verwaltung.

Insgesamt 17 Personen hatten sich um den Posten beworben, darunter Club-Betreiber und Kaufleute. Doch letztlich hatte Jakob ihnen eine Sache voraus: Er selbst ist Freiberufler und Musiker, weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn wegen der Pandemie alle Aufträge wegbrechen. „Ich habe die ganze Corona-Kanone abbekommen“, erzählt er. Soll heißen: Jakobs Einnahmen sinken auf null, die laufenden Kosten aber bleiben.

Mit Rückenwind gestartet

Als Musiker arbeiten darf er zwar nicht, aber untätig sein will Jakob genauso wenig. Zusammen mit zwei Kollegen aus der Branche ruft er die Initiative Kulturgesichter0541 ins Leben. Eine Kampagne, die mit Porträtfotos von Kulturschaffenden stille Kritik an der mangelnden Unterstützung für Kreative übt. Daneben spricht er auf den Alarmstufe-Rot-Demos in Niedersachsen und veröffentlicht ein Video mit einer persönlichen Message: „Ich bin jetzt offiziell Hartz-IV-Empfänger. Dieser Satz steht auf der Liste der Dinge, die ich nie sagen wollte, ziemlich weit oben“, sagt er darin. Das Arbeitslosengeld II ist zu dem Zeitpunkt das einzige Mittel, das die Bundesregierung den Soloselbstständigen bereitstellt, um fehlende Einnahmen auszugleichen.

Jakobs Ehrlichkeit gibt den Startschuss für sein politisches Engagement. Politiker werden auf ihn aufmerksam, er führt Gespräche, kann an Hebeln ziehen, die bislang außer Reichweite lagen. Im September 2020 nimmt er am Club- und Szenegipfel der Stadt Osnabrück teil. An diesem Abend kristallisiert sich heraus: Jakob wird sich als Nachtbürgermeister bewerben. Im Februar votiert das Auswahlgremium schließlich einstimmig für ihn.

Wenn er nicht gerade Nachtbürgermeister ist, schlägt Jakobs Herz fürs Musizieren. ©Julia Löhning / www.julialoehningfotografie.com
Wenn er nicht gerade Nachtbürgermeister ist, schlägt Jakobs Herz fürs Musizieren. ©Julia Löhning / www.julialoehningfotografie.com

Kollegen im ganzen Land

Damit öffnet sich für Jakob ein neues Kapitel: Zunächst befristet auf zwei Jahre, wird er als Nachtbürgermeister Osnabrücks der coronageplagten Kultur- und Clubszene unter die Arme greifen. Die Stelle ist ein klassischer Teilzeitjob, den er neben seinem Hauptberuf als Musiker und Hochzeitssänger ausüben wird. Und auch sein Engagement in der Kulturpolitik will er nicht aufgeben: „Die Betroffenen warten zum Teil seit drei Monaten auf die Novemberhilfen – wenn sie denn antragsberechtigt sind“, kritisiert er. An dieser Stellschraube kann er von Osnabrück aus wenig drehen, auf Landes- und Bundesebene aber schon.

Mit seinen Kollegen ist Jakob ebenfalls vernetzt. 2018 trat der erste Nachtbürgermeister der Republik sein Amt in Mannheim an. Mittlerweile regiert dort mit Robert Gaa bereits ein Nachfolger über das Nachtleben der Quadratestadt. Und auch in Mainz, Koblenz, Berlin-Charlottenburg, bald Stuttgart, München und Heidelberg werden die Nachtbürgermeister zwischen Kultur und Politik vermitteln.

In Osnabrück startet Jakob jedenfalls mit Optimismus in seine Amtszeit: „Ich freue mich darauf, den Restart mitzugestalten“, sagt er und fügt hinzu: „Wir werden wieder erleben können, was diese Stadt zu bieten hat.“ Und so viel steht fest: Das wird mehr sein als abgestandenes Bier, blaue Flecken und Kneipenduft in der Jacke.

Dieses Porträt erschien zuerst in Quo Vadis, dem Hochschulmagazin der Neuen Osnabrücker Zeitung. Text: Sebastian Fobbe