Wie die Osnabrücker Esport Factory sich in der Corona-Krise nach nur einem Jahr neu erfand
New Game
Normalerweise sind die Räume der Esport Factory an der Sandforter Straße vollständig ausgebucht. An allen Ecken wird gespielt, treten internationale Profi-Gamer gegeneinander an, lassen Junggesellenabschiede die LAN-Partyzeit ihrer Jugend aufleben. Doch ab Mitte März galt auch für den Betrieb in der Esport Factory: Game over.
Kontaktbeschränkungen und Reiseverbote für internationale Gäste machten den Betrieb in der bisherigen Form unmöglich. „Das Team und ich waren sofort auf Kurzarbeit“, erzählt Marvin Rohmann, Geschäftsführer der Maze GmbH, zu der auch die Esport Factory gehört.
Ein besonders harter Schlag für das junge Startup, das in 2018 die 1.200 Quadratmeter ehemaliger Büroflächen zu einem Mekka für die Esport-Szene mit hohem finanziellen Aufwand und Einsatz modernster Technik umbaute. 2019 öffnete die Esport Factory ihre Pforten und schickte sich gerade an, der neue Hot-Spot der Gaming-Szene zu werden und Köln, Berlin und anderen Hochburgen Konkurrenz zu machen. Dann wurden geplante Großveranstaltungen, die von hier live in alle Welt übertragen werden sollten, abgesagt und die Corona-Pandemie drückte die Pause-Taste.
„Das war natürlich ein empfindlicher Rückschlag. Aber wir haben uns dann gefragt: Wie können wir Artefakte und Attribute aus unserer Branche auf andere Bereiche übertragen“, sagt Rohmann. „Vieles von dem, was plötzlich überall benötigt wurde, war nämlich eigentlich längst unser daily business!“. Denn im Virtuellen, das einen kometenhaften Aufstieg durch die Kontaktbeschränkungen und den vollständigen Lockdown erlebte, kennt sich die Crew um Rohmann bestens aus – und verfügt neben dem technischen Know-How auch über Hardware, um Vieles umzusetzen, was virtuell denkbar ist.
High-End-Ausstattung in der Esport Factory
Herzstück der Esport Factory ist so zum Beispiel die Wettkampfarena, in der Teams oder Einzelspieler auf einer Bühne normalerweise in Computerspielen gegeneinander antreten. Nationale und internationale Wettkämpfe, die in Live-Streams ein großes Publikum finden, können hier ausgetragen werden. In einem Nebenraum ordnen üblicherweise zwei Kommentatoren die Ereignisse in den Spielen ein, im Regieraum werden wichtige Szene zur Wiederholung aufbereitet, Reaktionen eingefangen und die Gamerszene am häuslichen Bildschirm mit einer Übertragung versorgt, die den bekannten TV-Bildern aus der Fußballwelt in nichts nachsteht. Bei der Veranstaltung „Friendly Fire 5“, einem Charity Event in 2019, waren durchgehend bis zu 100.000 Zuschauer an den Bildschirmen zugeschaltet und spendeten mehr als 1 Million Euro für einen guten Zweck während der Übertragung.
Diese Erfahrung münzten Rohmann und sein Team nun auf die Bedürfnisse während der Corona-Krise um: „Für viele mittelständische Unternehmen grenzt das, was wir hier täglich machen, fast an Rocket Science“, sagt Rohmann, der seither viele neue Kontakte in völlig andere Bereiche geknüpft hat. So übertrug beispielsweise der Verein zur Wirtschaftsförderung in Osnabrück e.V. (VWO) sein Business Breakfast aus dem Studio der Esport Factory und schaffte so trotz Kontaktbeschränkungen eine Plattform für das traditionelle Unternehmertreffen – Carepaket mit Zimtschnecken und Zeitschrift für die Mitglieder zuhause an den Monitoren inklusive.
Auch die Osnabrücker innovate! machte sich die umfangreichen Kenntnisse und Mittel an der Sandforter Straße zunutze und sendete von dort einen dreistündigen Live-Stream als innovate!now unter dem Titel „Agri Food beats Corona“ mit Keynotes, Talkrunden und Startup-Pitches.
Gastspiel in der Osnabrücker Innenstadt
Im Juli traf dann schließlich analog auf virtuell und Rohmann und sein Team gaben ein zweiwöchiges Gastspiel im L&T Sporthaus in der Osnabrücker Innenstadt. Dort war aufgrund der Corona-Restriktionen die Hasewelle geschlossen und eine große Fläche freigeworden. Auf dieser entstand in einer langen Wochenendschicht die L&T Esport Arena, auf der die Kunden des Modehauses den Racing Simulator testen und verschiedene Virtual Reality Formate erleben konnten. Natürlich gab es auch hier ein Esport Set, viele Spiele und Konsolen zum Ausprobieren ebenso wie Live-Wettbewerbe.
„Ein voller Erfolg“, freut sich Rohmann über die ungewöhnliche Kooperation. „Für uns war das eine tolle Gelegenheit, das Thema Esport auch anderen Teilen der Gesellschaft zugänglich zu machen“, sagt er. „Gamer sind längst nicht mehr einsame Kellerkinder ohne soziale Kontakte – ganz im Gegenteil; das ist inzwischen eine sehr austauschstarke, rege Community, die vom Miteinander lebt. Das möchten wir gerne zeigen.“
Im August ist das normale Geschäft in die Esport Factory weitgehend zurückgekehrt, die Plätze sind wieder ausgebucht – mit dem nötigen Abstand, versteht sich. Doch die Auswirkungen der turbulenten Monate werden Rohmann und seine Crew noch länger beschäftigen – auch im positiven Sinn. „Wir haben in dieser Zeit viel gelernt – über neue Einsatzmöglichkeiten unseres Know-Hows, über Bedürfnisse der mittelständischen Unternehmen in Osnabrück und darüber, dass es manchmal sehr hilfreich sein, auch out of the box zu denken“, sagt Rohmann.